Imperiale Machtpolitk im 21. Jahrhundert

I. Die Verbreitung von „freedom and democracy“

Seit der Entfaltung der kapitalistischen Produktionsweise, eine Entwicklung, die nach Jahrhunderten zählt und die erkennbar bei weitem noch nicht abgeschlossen ist, hat die Einbeziehung zu erschließender zurück gebliebener Territorien durch ökonomisch überlegene imperiale Mächte eine unheilvolle Tradition. Dies fand seine Begründung immer auch durch die Berufung auf „höhere“ Werte – Missionierung durch das Christentum und Verbreitung der überlegenen „westlichen“ Zivilisation -, um die profanen Ziele der Profitmaximierung nicht zu vordergründig erscheinen zu lassen. War somit koloniale Inbesitznahme anerkannte Praxis bis ins 20. Jahrhundert hinein, der schönen Worte von Selbstbestimmung und Freiheit zum Trotz, so war nach den faschistischen Raub- und Eroberungskriegen die Kolonialwelt nicht nur legitimatorisch überholt und der kapitalistische Wirkungskreis bedurfte differenzierterer Ausformung. Nun ging es primär um die Sicherung der kapitalistischen Verwertungszonen gegen die „kommunistische Bedrohung“ und um die weitere Kontrolle der nach Unabhängigkeit strebenden Weltregionen. Imperiale Machtpolitik, deren Hauptträger im 20.Jahrhundert die USA wurden, erschien nun als Streben nach (kapitalistischer) Freiheit und (bürgerlicher) repräsentativer Demokratie gegen sozialistische Unfreiheit und Tyrannei. Im „Kalten Krieg“ der bipolaren Welt, der von Anfang als blutiger, „heißer“ Krieg an vielen Ecken der Erde, von Korea über Vietnam, Angola bis hin nach Nicaragua – um nur einige der Brennpunkte zu nennen – ausgefochten wurde, galt als oberste Devise für die Akteure, sich mit jeder politischen Kraft zu verbünden, Hauptsache diese war der „Feind“ des „Feindes“ USA oder Sowjetunion.

Einer der augenfälligsten Widersprüche im imperialen westlichen System, das sich in Sonntagsreden und Schulbüchern zur „Freiheit“ und zur „Demokratie“ als oberste unumstößliche Werte bekannte, war die Tatsache, dass im Kampf um die „Freiheit“ jedes Mittel Recht war, jedes diktatorische mörderische Regime und jedes noch so verwerfliche politische Mittel benutzt wurde, um die Beherrschung von Menschen, Märkten und Mächten für die kapitalistische Verwertung zu garantieren. Die Unfreiheit und die Tyrannei konnte nicht groß genug sein, Hauptsache Länder der umkämpften nun Dritten Welt genannten Regionen blieben den kapitalistischen Weltmärkten zugänglich und damit auf der richtigen, westlichen Seite der Systemkonfrontation. Dieses jahrzehntelange Bündnis der imperialen Vormacht USA mit den reaktionärsten weltlichen wie religiösen Kräften im Kampf gegen den „Kommunismus“ hatte viele Erscheinungsformen an vielen wechselnden Fronten. In den Folterkellern rund um den Erdball wurden die Segnungen von „freedom and democracy“ zum nackten Zynismus.*)

Dennoch gehört auch zu der Geschichte, dass sich in dieser Zeitperiode eine stabile Staatengruppe formierte, in der sich die kapitalistische Produktionsweise dauerhaft mit einem repräsentativen parlamentarischen politischen System verband, wo Rechtsstaat und (politische) Menschenrechte zum Alltag und zum einklagbaren Standard wurden. Diktaturen und mörderische Regime erschienen im Bewusstsein der herrschenden weißen Klasse des Nordens als perspektivisch zu überwindende notwendige Ausnahmen von der allgemein verbindlichen Regel.

Nach dem Zusammenbruch der europäischen sozialistischen Staaten und der Einbeziehung der gesamten „kommunistischen“ Welt (mit Ausnahme von Cuba und Nordkorea) in den Wirkungskreis der internationalen kapitalistischen Verwertungsabläufe, der beschleunigten Entwicklung von neuen Märkten und mit der nun als „Globalisierung“ ins Bewusstsein tretenden vereinheitlichten Welt erfährt das Sendungsbewusstsein von „freier Marktwirtschaft“ und „Freiheit und Demokratie“ zu Ende des 20.Jahrhunderts neue Nahrung und neuen legitimatorischen Zweck. Die finsteren Geister, von bin Laden bis zu Pinochet, von Suharto, den Buren Südafrikas bis hin zu Saddam Hussein, mit der sich die imperiale westliche Welt im Kampf gegen den „Kommunismus“ verbündet hatte, waren nun sowohl überflüssig als auch rufschädigend. In einem historisch gesehen raschen Tempo entledigte sich die imperiale Welt einige ihrer finsteren Gestalten. Gehen sie nicht freiwillig, wie das sozialistische Erbstück Milosevic oder der panarabische Saddam Hussein, wird militärische Gewalt exemplarisch eingesetzt, um allen „Schurken“ dieser Welt zu zeigen, welches Schicksal ihnen droht, so sie denn nicht gefügig sind.

Imperiale Machtpolitik hat als Konstante und oberstes Ziel die Sicherung und wenn möglich Ausdehnung der kapitalistischen Märkte. Nicht der territoriale Zugewinn steht im Vordergrund, sondern der Kampf um Marktanteile. Dabei ist der Export von „Marktwirtschaft“ und „Demokratie“ sowohl ideologisches wie praktisches Mittel zum Zweck der imperialen Machtausdehnung.

Eine der finsteren Mächte, mit denen man sich im Kampf gegen den „Sowjetkommunismus“ verband, meldete sich mit dem 11.9., der terroristischen Attacke gegen die imperiale Führungsmacht USA, sehr nachhaltig auf der Weltbühne. War der „irrationale fundamentalistische Islamismus“ willkommener Bündnispartner gegen die kommunistisch Bedrohung der arabischen und der islamischen Welt und wurden Abertausende Kämpfer durch die CIA fit gemacht im Krieg gegen Afghanistan und die Sowjetunion, so erwies sich diese nun als resistent gegenüber den Verlockungen des siegreichen „Westens“ und erklärt diesem, dem „Feind der Menschheit“, vielmehr den permanenten Krieg. So sieht sich die imperiale Welt nach dem „Kommunismus“ einem neuen Hauptfeind im nun „Kampf der Kulturen“ gegenüber und der „Krieg gegen den Terror“ wird zum neuen Vehikel des Anspruchs auf imperiale Machtausdehnung. Noch ist im Kampf gegen den „Kommunismus“ ein Rest von Handlungsbedarf, – siehe Cuba, Nordkorea und mit Abstrichen Vietnam und China – für die imperiale Welt übrig gebliebenes. Hauptziel der imperialen Politik sind aber die „Schurkenstaaten“ jedweder Couleur und die Befriedung der (bedrohlichen) islamischen Welt.

„Marktwirtschaft“ und (US-amerikanische) „Freiheit“ erscheinen als untrennbare Einheit und der daraus resultierende Auftrag zur „nation building“ alternativlos, gestern, heute und erst recht morgen. Welche Mittel, diplomatische, ökonomische, militärische, in diesem nicht erst seit dem 11.9. immerwährenden Kampf eingesetzt werden und welche territorialen Ziele ins aktuelle Visier genommen werden, hängt von konkret-historischen Bedingungen und durchaus auch vom Zufallsprinzip ab. Ob der Iran, Nordkorea, Syrien, Venezuela oder Cuba in den Fokus der Anstrengungen der gegenwärtigen und zukünftigen imperialen Machtausdehnung geraten, ist sekundär. Primär wird die imperiale kapitalistische Welt jedes Mittel einsetzen, um auch den letzten Winkel dieser Erde zu beherrschen und dem Profitstreben zu öffnen. Für Rosa Luxemburg war die ständige Inwertsetzung rückständiger Gebiete sogar Bedingung für das Überlenben der kapitalistischen Formation, für die erweiterte Akkumulation des Kapitals.

Europäische und US-amerikanische Politik mag sich hierbei, geschuldet unterschiedlicher (militärischer) Kompetenzen, durchaus unterscheiden, was für betroffene Völker wie Syrien, Mali oder Afghanistan nicht unwichtig ist, imperiale Machtpolitik im Namen von „Freiheit“ und „Demokratie“ wird aber erst dann an ein Ende kommen, wenn die imperialen Mächte selbst „zivilisiert“ werden und eine „andere“ ökonomische wie politische Logik zum Durchbruch kommt. Bis dahin scheint aber der Weg noch lang und steinig zu sein.

II. Zur Bedeutung des Militärisch-Industriellen Komplexes

Räsoniert der linke Zeitgeist über die Kriegsursachen, z.B. anlässlich des Überfalls der USA auf den Irak oder aktuell über Syrien,, so kommt er mit bekennender Sicherheit zum Ergebnis, dass es um die Beherrschung des Erdöls als letztendlichen Kriegsgrund geht. Schließlich hat man irgendwann gelernt, dass der Imperialismus auf die Aufteilung der Welt zielt, um diese ausplündern zu können. Und Erdöl ist ja nun ein besonderer Stoff, der die Fantasie anregt und für Reichtum an sich steht.

Als der scheidende US-Präsident Eisenhower 1961 von der Macht und dem Einfluss eines von ihm so genannten Militärisch-Industriellen Komplexes (MIK) in seinem Land sprach, der sich im Gefolge der Aufrüstung des Zweiten Weltkrieges notwendigerweise herausbildete und nahtlos durch den „Kalten Krieg“ einen neuen Aufschwung erfuhr, wollte er vor der Einflussnahme bestimmter Interessen, der Rüstungs- und Kriegsindustrie, auf außenpolitische Entscheidungen seines Landes warnen. Die Verschmelzung der Interessen des Militärs mit der am Krieg verdienenden Industrie und die zunehmende Unterstützung durch den politischen Apparat äußerte sich in einem Rüstungsetat, der angesichts der beschworenen „roten“ Gefahr auf dem Niveau eines allgemeinen Krieges verharrte, und in einer Außenpolitik, die zu jedem lokalem Kriegsabenteuer bereitwillig ihre Zustimmung gab, solange es nur die Ausbreitung des „Kommunismus“, wie in Korea, Vietnam oder Cuba, tatsächlich oder vermeintlich, einzudämmen galt.

Heute, nach dem Ende der Systemauseinandersetzung, ist von der zu Beginn der 90er Jahre vielgerühmten „Friedensdividende“ schon lange nicht mehr die Rede und der US-amerikanische „Verteidigungs“etat erreicht ein neues historisches Rekordniveau. Zum MIK der USA zu zählen sind neben dem eigentlichen Militär und seinem Pentagon das Energieministerium mit der Kontrolle über die Atomwaffen, die diversen Geheimdienste und das „Heimatschutzministerium“, der gesamte Apparat des Außenministeriums mit zahlreichen staatlichen wie privaten Organisationen, das Innenministerium mit der Nationalgarde als Reserve und und … Nicht nur verfügt der MIK über gigantische staatliche Mittel, zu deren Begründung einst die „russische“ wie „gelbe“ Gefahr herhalten musste, später der weltweite Kampf gegen die Drogen und der „Krieg gegen den Terror“, entscheidender noch ist die Tatsache, dass Millionen US-Bürger mittelbar oder direkt von ihm abhängen und damit etwa zwanzig Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes und der Arbeitsplätze. Kaum ein Kongressabgeordneter, in dessen Wahlkreis nicht ein Rüstungsbetrieb oder ein Militärstützpunkt angesiedelt ist, deren finanzielle Ausstattung im also am Herzen zu liegen hat.

Sicherlich gibt es auch in den anderen wichtigen NATO-Staaten (oder Russland und China) diese besonderen Beziehungen zwischen Staat, Politik, Rüstungsindustrie und Militär, quantitativ wie qualitativ steht der MIK der USA einzigartig dar. Will man die Weltpolitik der letzten 100 Jahre verstehen, muss man sich mit den jeweiligen Zielen und Themen der „Rüstungslobby“ der USA auseinander setzen. Zu dieser Lobby gehören zunehmend die sogenannten unabhängigen „Think Tanks“, die für Industrie, Militär und Politik die zukünftige Politik und ihre Ziele im voraus formulieren. In diesen Kreisen der herrschenden Eliten der USA wurde bereits seit 1992 ein weiterer Irak-Krieg gefordert. Heute sprechen diese intellektuellen Kreise des MIK von der Durchsetzung und Sicherung eines US-„amerikanischen 21. Jahrhunderts“ und fordern materielle und personelle Kapazitäten, um den allmächtigen „Führungsanspruch“ der USA in der Zukunft, wobei die potenzielle Bedrohung nicht so sehr im aktuellen Islam, sondern in China, Indien und Russland gesehen wird, abzusichern. Mit der George W. Bush-Administration hatte dieser Verflechtungsgrad zwischen Industrie, privaten Sicherheitsunternehmen, privaten wie staatlichen Denkfabriken, dem Militär und der Regierungspolitik ein derart großes Ausmaß angenommen, dass selbst für etwa die Hälfte der US-Bürger die Steuerung der Politik durch handfeste materielle Interessen, zu denen auch Erdölinteressen zählen, aber noch vielmehr Aufrüstungs- und allgemeine Profitinteressen gehören, offensichtlich ist. Es erscheint so, als wäre die Planung und Durchführung von militärischen Aktionen bis hin zum nächsten Krieg in die Marketing-Abteilungen interessierten Konzerne verlegt!

Der MIK der USA scheint ein Niveau erreicht zu haben, wo die in der bürgerlichen zivilisierten Gesellschaft vorhandene und notwendige Trennung von Politik und Ökonomie**) aufgehoben ist und ersetzt wird durch die Herrschaft partikularer Einzelinteressen. Für die USA scheint zu gelten, dass die Herrschaft des MIK, vor der ein Eisenhower noch warnte, beklemmende Realität geworden ist. Und zu dieser Realität gehört die Führung von Kriegen und die beständige Warnung vor unbestimmten Gefahren, um den MIK zu legitimieren und mit neuer Nahrung, sprich Finanzmittel, zu versorgen. Diese staatlichen Etats des MIK in Dimensionen von Hunderten von Milliarden von US-Dollars und das Interesse von Abermillionen, die daraus alimentiert werden, vom privaten Söldner über den GI hin zum Rüstungskonzern und den Politikberater, bestimmen die gegenwärtige und erst recht die zukünftige (Außen-) Politik der USA und sind das Motiv, Kriege und Kriegsgründe zu „erfinden“. Wenn dabei auch die Interessen anderer Kapitalabteilungen mit abgedeckt werden, z.B. die der Rohstoffkonzerne, um so „überzeugender“ kann die imperiale Machtpolitik agieren.

Diese Macht des MIK zu begrenzen und letztendlich zu überwinden, ist natürlich zuerst Aufgabe des „anderen Amerikas“. Nur eine weltweite Friedensbewegung, die radikale Abrüstung und Demilitarisierung fordert und durchsetzt, die eine Mittelumverteilung hin zur Solidarität mit den Armen dieses Planeten bewirkt, wird die MIK aller imperialen Mächte***) insgesamt an ihrem Wirken hindern und eine „andere“ Welt durchsetzen.

*)  Spiegelbildlich galt dies auch im wesentlichen für den Gegenpart der USA, die Sowjetunion.

**)  Mit dem direkten Machtantritt der Oligarchie, siehe D. Trump, erreicht die unmittelbare Herrschaft eine neue Dimension und wird zu einer Bedrohung der bürgerlichen Ordnung selbst..

***)  Am Beginn des 21.Jahrhunderts treten zumindest mit der VR China und Russland weitere Mächte mit dem Anspruch auf imperiale Stärke auf die Weltbühne.

Geringfügig bearbeiteter Artikel von 2005

 

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